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"Kunst ist Wahnsinn"

Dynamik und Tanz spielen im Werk von Franz Grabmayr eine zentrale Rolle. Das Wichtigste ist ihm die Bewegung. Vor allem wenn man ins Detail schaut, sind sie immer zu beobachten, diese Kraftbündel, diese "Energieballungen" wie es Raymond Both formuliert hat. Bewegung ist sein Lebenselixier. In seinen Tanzbildern, die ersten sind Anfang der 70er Jahre entstanden, wird Bewegung nicht ins Bild gebannt. Die Körper der Tänzerinnen werden nicht fixiert. Sie tanzen weiter. Die Bilder, verschmelzen mit dem Maler, werden selbst zum Tanz. Grabmayrs Tanzbilder sind ein Gegenpol zum statischen Aktmodellzeichnen an den Akademien, überhaupt ein Protest gegen allzu viel Statik in der Kunst. Tanz ist für ihn natürlich mehr als bloß Bewegung. In den jüngsten Tanz-Tusch-Bildern abstrahiert er schon total und reißt die Figuren förmlich in Taktstriche auf. Oft arbeitet er mit drei Tänzerinnen gleichzeitig.

Tanzbild I, Stoff-Farben auf Leinwand, 1978
Grabmayr: Ja, die Figur wird eigentlich zerrissen, wenn eine Tänzerin sehr dynamisch arbeitet. Wenn sie sich langsamer bewegt, zu einer anderen Musik, werden die Bilder flächiger. Musik ist mir sehr wichtig. Das ist eine Einheit. Ich sag nie etwas. Die Tänzerinnen bringen die CD's mit. Sie müssen mit der Musik ganz ident sein. Dann springt der Funken über. Ich muss mich einleben in die Musik, in ihre Bewegungen. Dann hab' ich farbiges Licht, mit verschiedenen Scheinwerfern. Die Musik ist oft sehr laut. Und dann sitz' ich und dann schau ich und dann trink ich Gin-Tonik und werd' immer einfacher und wesentlicher und radikaler. Natürlich, das steigert ja die Kraft. wenn man Gin-Tonik trinkt. Da wird man ja ein Energiebündel."

Manche, die ihn bei der Arbeit mit den Tänzerinnen beobachten, halten es für eine Art Rausch, für einen Trance-Zustand, in dem Grabmayr arbeitet, für Besessenheit. Seine Frau Ingrid: "Wenn er malt, ist er verwandelt, ein ganz anderer Mensch." Metamorphose eines Malers. Entsteht da so etwas wie eine Identität, auch bei den Naturbildern, verschmilzt er mit dem Modell, dem Motiv?

Grabmayr: "Also, ich hab manchmal schon sehr sensibel gearbeitet, so in Trance, aber das ist dann oft nicht so gut geworden. Es wird besser, wenn ich brutal und radikal werde. Dann sind auch die Ergebnisse besser. Die anderen sind dann zu zärtlich und zu fragwürdig. Wenn ich so am Abend zirka drei, vier Stunden arbeite, die ersten Stunden, die ersten zehn Blätter, das ist alles zum vergessen. Die letzten Blätter sind dann immer die besten, eigentlich, weil da ist man schon so weit in der Empfindung, wie sich die Figur bewegt. Man wird einfacher und man wird wesentlicher, nach ein, zwei Stunden arbeiten... Man kriegt einfach geliefert. Natürlich, manchmal sind die Tänzerinnen - zwei drei, manchmal nur eine Tänzerin - dann müde und brauchen Pausen. Es ist besser, wenn ich drei hab'. Dann sag ich: Auf! nächster Auftritt! Das ist für mich natürlich toll, weil ich dauernd Angebote hab. Keine langen Pausen. Die Tänzerinnen sagen, sie wollen nicht so lange Pausen machen, weil da fallen sie ab. Manchmal wollen sie langsamere Sätze tanzen. Da sag ich: Nein, nein, das ist nix. Wunderbar ist die Musik von Penderecki. Das Wesentliche ist eigentlich, dass die das fühlt, die Tänzerin. Und dann gestaltet sie."

Schwarze Tanzfigur, Öl auf Leinwand, 1992, 100 x 54 cm
Die frühen Tanzbilder in Ölmalerei sieht Grabmayr heute als erste Stufe einer langen Entwicklung. Heute ist ihm das zu viel Pose, erstarrte Bewegung in einem bestimmten Augenblick.

Grabmayr: "Die Rosi hat getanzt und ich hab' geschrieen: Pose! Oder die Alessandra. Mit der hab' ich auch einen ganzen Winter gearbeitet. Pose! Und dann haben sie mir halt die Pose gehalten. Ich war ja damals so aufs Figurale aus!"

Im Katalog zu einer Ausstellung in der Wiener Postsparkasse 1979 steht: "Durch eine Pantomime fand er den Weg zum tanzenden Menschen." Das war für Grabmayr eine entscheidende Begegnung.

Grabmayr: "Ich war damals Assistent in der Akademie. Ich glaub', das war 1967-69. Da hatten wir eine Pantomime. Sie kam aus Deutschland. Am Vormittag war sie Akademiemodell, als Ruhende. Wir, an der Akademie, haben ja nur Sitzende, Liegende, Stehende gehabt. Dann hab' ich sie einmal gefragt, was sie so macht, und sie hat gesagt, sie ist Pantomime. Da hab' ich gesagt, gehen wir in mein Atelier. Dort hat sie mir ihr ganzes Programm vorgeführt. Sofort habe ich begonnen zu zeichnen. Ich hab' das vorher schon beobachtet: Wenn die Modelle eine dreiviertel Stunde gesessen sind, haben sie sich erhoben und geräkelt. Das war für mich viel schöner, als dieser zusammengesunkene Körper. Ich hab solche Sachen gemalt, aber das andere hat mich viel mehr begeistert. Es ist schön, wenn sich so ein weiblicher Körper bewegt. Das ist an und für sich schön. So eine Bewegung. Schultergürtel, Beckengürtel. Dann kam die Pantomime dazu und dann war's a g'mahte Wiesen."

Tanzblatt, Aquarell auf Papier, 1997
"A g'mahte Wiesen" steht für: alles paletti. An die zehn Jahre lang malt er so, in der Staatsoper, beim Ballet, beim Training und am Abend auf der Bühne. Bis eines Tages eine Tänzerin kommt und ihm sagt: Das ist Pose und nicht Tanz! Grabmayr: "Die fühlen das ja. Ich lasse die Tänzerinnen auch oft meine Blätter beurteilen, weil die haben gefühlt, was sie da getanzt haben. Und wenn sie das Gefühl im Blatt drinnen sehen, dann ist das Blatt gut für sie. Der Nurejew ist auch nicht stehen geblieben in der Staatsoper, wenn ich gearbeitet habe. Und so hab' ich gelernt, aus der Bewegung heraus, rhythmische Zusammenhänge zu malen. Ich will ja wirklich den Tanz malen, Ich will nicht einen realistischen Körper malen. Durch den Tanz hab' ich eigentlich die Metamorphosen kennen gelernt, die Verwandlungen des Körpers. Weil durch die Bewegung wird der Körper ja verwandelt. Das ist der verwandelte Körper. Und das bringt mich vom Realismus weg. Da ist nichts, was du festhalten kannst. Das darf man nicht. Ich mal die Bewegung. Dann ist es Tanz! Tanz ist Dynamik!"

Eine Tänzerin sagte vor Grabmayrs Tanzbildern: "Sie sind Hymnen an die sinnliche Bewegungsfreiheit." Auch der Kunstsammler und -kritiker Otto Breicha spürt in seinen Bildern die Sinnlichkeit. Freiheit und Sinnlichkeit gehören bei Franz Grabmayr zusammen wie Geschwister.

Tanzblatt, Aquarell auf Papier, 1997
Grabmayr: "Tanz ist Freiheit. Es ist wirklich so, das hängt ja zusammen. Das Tanzen wird ja in unserer Gesellschaft viel zu wenig gepflegt. Die Tänzerinnen hören die Musik. Ich sage ihnen nicht, mach' es so oder so. Sie machen selbst die Choreographie. Und das tut ihnen gut. Sie sind in der Musikgestaltung frei. Das springt dann auf mich über in der Freiheit der Gestaltung. Wir spielen oft Puccini. Wahnsinnig. La Bohème oder die anderen Sachen von ihm, Manon Lescaut. Da kommt so viel Stimmung mit. Grad beim Puccini. Oder der ganz späte Pucchini - Turandot. Da kommt zur Musik und zur Bewegung noch so eine starke Empfindung dazu. Ich bin immer ein sinnlicher Mensch, nicht nur in der Malerei. Wie ich Speck aufschneid', ja. Das Sinnliche ist für mich das Emotionale, das Lebendige. Auch wenn ich mit die Farben anschau', z.B. die Tuschen, alles ist sinnlich. Alles was eigentlich so strahlt - oder was weiß ich. Es ist natürlich auch mein Bauch. Das Essen und Trinken. Und die farbige Malerei. Das ist der Unterschied zum Intellektuellen. Wenn du den Weiler hernimmst. Der Weiler ist nicht sinnlich. Natürlich auch der Kandinsky war nicht sinnlich. Der Picasso war sinnlich. Zwei Welten in der Malerei. Der August Macke, der ist sehr sinnlich. Diese Tunesischen Aquarelle. In Tunis hat Klee gesagt, er war ja mit dem Macke unten: jetzt hat mich die Farbe. Das hat er erst unten erlebt und mit dem Macke zusammen. Vorher waren sie in München. Da hat der Klee noch kein Farberlebnis gehabt. Über die Farbe ist dann das Sinnliche eingeflossen - und durch den Macke. Er hat sich mit Klee gut verstanden. Und er hat ihn mitgenommen, weil er intellektuell war. Das war wieder für den Macke interessant."

Sinnlichkeit ist verwandt mit Erotik, Erotik wieder mit der Kunst überhaupt. Ein weiblicher tanzender Körper mit Musik, das ist einfach sinnlich. Wie wirken für Franz Grabmayr Erotik und Kunst aufeinander ein?

Grabmayr: "Das Malen lässt einen nicht kalt. Es ist lebendig und leidenschaftlich und regt einen auf. Das war schon beim Munch so. Aber man muss es als Maler umsetzen. Man muss die Erotik umsetzen. Das hat auch der Rubens gemacht. Die Umsetzung des Erlebnisses. Ich könnte auch sagen: Das Meer ist erotisch. Der Courbet hat diese riesige große Welle, diese große Woge gemalt. Das Meer mit dem Rhythmus, der immer wieder kommt. Das ist erotisch. Auch in der Natur. Der "Der Tod des Sardanapal" von Delacroix: Da ist ein mords großes Bett und da sind seine ganzen Lieblingsfrauen, irrsinnig erotisch. Auch Delacroix' Bilder aus den Freudenhäusern in Algier sind sehr erotisch. Beim "Tod des Sardanapal" sind herrliche weibliche Akte. Die Frauen werden alle ermordet, damit sie nicht in die Hände der Feinde fallen. Nachher bringt er sich auch um. Auch Rubens hat so erotische Akte gemalt. Der Rembrandt weniger. Der ganze Rembrandt ist auch sehr sinnlich, weniger erotisch. Der Rernbrandt hat eine wahnsinnige Empfindung in seinen Bildern. Wenn man sich z.B. den "Samariter" anschaut, wie der Kranke vom Pferd heruntergenommen und ins Haus hineingetragen wird. Und eben auch das Hell-Dunkel, damit er die Empfindung besser ausdrücken kann, das Gefühl.

"Ohne Besessenheit gibt es keine Kunst. Ein Menschenkenner hat einen Luchsblick in seinen Augen gesehen. Der Direktor der Österreichischen Galerie im Belvedere, Gerbert Frodl, hatte angesichts seiner Bilder den Eindruck, dass der Maler "das Motiv wie ein Raubtier seine Beute umkreist".

Grabmayr. "Wenn ich in der Arbeit drinnen bin: Es ist eine wahnsinnige Übersteigerung. Man kann nicht schöpferisch sein, wenn man zu normal ist. Ich hab früher, schon vor 30 Jahren, einmal formuliert: Kunst ist Wahnsinn. Man muss die Sinne bis zum Wahn steigern, sonst ist es nicht Kunst, sonst erreicht man es nicht. Es ist einfach ein Fühlen. Der Frodl weiß schon, dass ich besessen bin. Das sieht er auch in den Bildern. Und er weiß, dass wir mit dem Traktor um das Motiv fahren. Das ist das Umkreisen. Und Raubtier? Na ja, vielleicht weil ich etwas herausreiße. Ich reiß' aus dem Motiv etwas heraus. Ich bin nicht irgendwie gelangweilt. Ich bin nicht irgendwie nicht engagiert."

Sohn Jakob: "Sein Blick hat beim Malen eine irrsinnige Intensität."

Grabmayr: "Raubtier ist ein anschauliches Bild ... Ich bin natürlich nicht ein Maler wie Edgar Degas, der das so schön brav, ordentlich gemacht hat oder der Manet oder der Sisley oder der Waldmüller. Das sind die anderen Maler. Das bin ich nicht. (Grabmayr bezieht sich hier auf Alfred Sisley, einen französischen Maler englischer Herkunft, 30.12.1839 - 29.1.1899)
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